Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mit Urteil vom 09.02.2023 (Az.: III ZR117/20) zur Notwendigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens bei der bilanziellen Bewertung einer (möglicherweise) risikobehafteten Forderung geäußert. Dem BGH folgend ist zur Beurteilung der richtigen bilanziellen Bewertung von (möglicherweise) risikobehafteten Forderungen in der Regel die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich, da die Beurteilung zumeist besonderen kaufmännischen und bilanztechnischen Sachverstand voraussetzt.
Ist eine Forderung risikobehaftet, ist dem Risiko bilanziell durch eine Abschreibung (Wertberichtigung) nach § 252 Abs. 1 Nr. 4, § 253 Abs. 4 HGB Rechnung zu tragen. Diese sogenannten zweifelhaften Forderungen sind mit ihrem wahrscheinlichen Wert anzusetzen. Dabei ist der Wert, mit dem die risikobehaftete Forderung realisiert werden kann, heranzuziehen, wobei grundsätzlich auf eine Einzelbewertung der Forderung abzustellen ist. Ein wegen des Ausfallrisikos unter dem Nennbetrag liegender Wert von Geldforderungen kann im Allgemeinen nur im Wege der Schätzung ermittelt werden, wobei regelmäßig auf das kaufmännische Ermessen abgestellt wird. Die Zahlungsfähigkeit und die Zahlungswilligkeit eines Schuldners sind dabei individuell nach dessen Verhältnissen zu ermitteln. Der Schätzung muss jedoch eine objektive Grundlage in den am Abschlussstichtag gegebenen Verhältnissen zugrunde liegen.
Gemäß § 252 Abs. 1 Satz 1 HGB sind bei der Bewertung alle vorhersehbaren Risiken und Verluste, die bis zum Abschlussstichtag entstanden sind zu berücksichtigen. Dabei sind auch jene Risiken und Verluste zu berücksichtigen, die zwischen dem Abschlussstichtag und dem Tag der Aufstellung des Abschlusses bekanntgeworden sind (sogenannte wertaufhellende Tatsachen). Der zu berücksichtigende Umstand selbst muss jedoch bereits zum Abschlussstichtag vorliegen. Wertbegründende oder wertbeeinflussende Tatsachen, die erst nach dem Abschlussstichtag entstanden sind, müssen dagegen unberücksichtigt bleiben.
Die Beurteilung einer möglichen Abschreibung einer Forderung und der Umfang der möglichen Abschreibung ist einzelfallspezifisch vorzunehmen und erfordert dem BGH folgend meist besonderen kaufmännischen und bilanztechnischen Sachverstand. Deshalb ist nach Auffassung des BGH im Zivilprozess in der Regel die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Beurteilung der richtigen bilanziellen Bewertung einer (möglicherweise) risikobehafteten Forderung geboten, es sei denn, das Gericht verfügt ausnahmsweise selbst über die notwendige besondere Sachkunde und weist die Parteien zuvor hierauf hin.
In der Praxis bedeutet dies, dass an die bilanzielle Bewertung von ausfallgefährdeten Forderungen hohe Anforderungen zu stellen sind. Regelmäßig wird es hierzu einer Expertise durch einen Sachverständigen, bspw. einen Wirtschaftsprüfer, bedürfen. Mit dem aktuellen Urteil unterstreicht der BGH seine Sichtweise zum Erfordernis eines Sachverständigengutachtens bei der Bewertung risikobehafteter Forderungen. Bereits mit Urteil vom 20.01.2022 (Az.: III ZR 194/19) wies der BGH darauf hin, dass bei der bilanziellen Bewertung einer risikobehafteten Forderung in der Regel die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich ist. Die Rechtsprechung des BHG lässt damit unzweifelhaft die Notwendigkeit von bilanzieller und bewertungsbasierter Expertise bei der Beurteilung (bilanzieller) Werthaltigkeitsfragen erkennen.